Ohne Koffer

Wolfgang Betz, Geschäftsführer von Spurwechsel

Es ist immer dasselbe, wenn ich in den Urlaub fahre: Der Koffer kann nicht groß genug sein! Was muss nicht alles mit, damit ich mich wohl fühle: Meine Taschenlampe, Handy (und Ladekabel), die Creme für den Ausschlag an der Hand, Adressbuch, Ausweißpapiere (und Kopien der Ausweißpapiere für den Fall der Fälle) usw. Man hat einfach „seine Sachen“, ohne die es nicht geht. Und obwohl ich mir jedes Mal vornehme, mit leichterem Gepäck zu verreisen und mich im Loslassen zu üben, gelingt mir das bisher nicht so gut. Irgendwann denke ich mir jedoch: Es ist ja nur für zehn Tage – und mache den Koffer zu!

Und dann denke ich an die vielen Menschen, die auf der Flucht sind und die zu uns ins beschauliche Bad Boll gekommen sind: Ohne Gepäck und nur mit dem, was sie auf dem Leib tragen konnten. Ohne Papiere und die vielen anderen Kleinigkeiten, die Identität und Persönlichkeit kennzeichnen. Und nicht nur für zehn Tage, sondern ohne Perspektive – getrieben nur von dem Willen, überleben und ein besseres Leben haben zu wollen. Und allein.

Ich denke aber auch daran, was ich eigentlich dazu beigetragen habe, dass ich in einer Welt leben darf, die Jahreszeiten kennt, in der Sonne und Regen, Sommer und Winter für eine gedeihliche Natur sorgen; in der keine Erdbeben sind, kein Krieg herrscht und ich bei Bedarf auf eine medizinische Versorgung zurückgreifen kann. Nichts habe ich dazu beigetragen – ich habe einfach Glück gehabt!

Natürlich ist auch mir nicht alles in den Schoß gefallen: Meine Vorfahren haben, wie alle anderen auch, an der heutigen Infrastruktur mitgebaut und dazu beigetragen, dass ich auf einem bestehenden Fundament aufbauen kann. Ich arbeite dazu auch hart und bezahle ordentlich meine Steuern. Insofern leiste ich natürlich einen Beitrag zum Gemeinwohl. Ich spreche hier jedoch von globaleren Zusammenhängen und von der himmelschreienden Ungerechtigkeit, mit der wir auf Kosten anderer Erdteile unseren Standard erhalten – und vermehren!

Ja, ich habe Angst, wenn ich mir vorstelle, dass wir in den nächsten Jahren wahrscheinlich eine Völkerwanderung apokalyptischen Ausmaßes von Süden nach Norden erfahren werden. Und ja, auch ich denke, dass wir irgendwann über „Obergrenzen“ sprechen werden müssen und „unser“ Land an Grenzen stoßen wird.

Ich bin jedoch gewillt, bis an diese Grenzen zu gehen und zu teilen. Wer bereit ist, 900 Euro für ein iPhone auszugeben, der muss sich Gedanken machen, wie die Zustände in Namibia sind, in denen die seltenen Erden für die Halbleiter dieses Handys abgebaut werden. Und der darf sich nicht wundern, wenn die Menschen dort auch einen „Platz an der Sonne“ haben möchten. Ich versuche zumindest, mich dieser Verantwortung zu stellen und sehe es als nicht selbstverständlich an, wie gut es mir geht.