Zu Hause sein

Claudia Pütz, Sozialpädagogin bei Spurwechsel

Nachdem ich mit 19 Jahren die Schule beendet hatte, habe ich für ein Jahr in Bolivien, Südamerika gelebt.

Ich konnte zunächst kaum Spanisch sprechen und war mit den Sitten und Gebräuchen in diesem Land wenig vertraut. 
Ich hatte allerdings nie den Eindruck, dass sich jemand an meinem zunächst offensichtlichen Mangel an Sprach- und anderen Kenntnissen gestört hat. Im Gegenteil:  Was nicht mit Worten ging, wurde mit Gestik, Mimik und manchmal kleinen Zeichnungen mit viel Humor aufgefangen. 
Es hat dann auch nicht lange gedauert, bis ich Spanisch sprechen konnte und zur allgemeinen Erheiterung versucht habe, die indigene Sprache „Quetschua“ zu lernen. Ich erinnere mich, dass ich mit meinem neu erstandenen Lehrbuch auf einer Bank auf der Plaza in Cochabamba saß, als ein sehr alter Mann mich ansprach und fragte, ob er mir bei der Aussprache helfen solle. Wir  – zwei völlig Fremde – saßen also auf einer Bank mitten in der Großstadt und hatten einfach Spaß.

Die Offenheit, Unvoreingenommenheit und Gastfreundschaft der Menschen in Bolivien hat sehr schnell dazu geführt, dass ich mich zu Hause gefühlt habe. Ich wurde zu Familienfesten eingeladen, zu Ausflügen in die Umgebung mitgenommen und selbst auf dem Wochenmarkt in Cochabamba wurde ich von einer Marktfrau, mit der ich mich einmal unterhalten hatte, mit einem freundlichen „Hey, Gringa, wo warst du so lange?“ begrüßt, wenn ich nach einigen Monaten wieder kam.

Ich war als Deutsche größer als die meisten Bolivianerinnen und fiel natürlich auch durch meinen anderen Kleidungsstil auf, aber das hat niemanden gestört. Im Gegenteil. Die Leute fanden es eher interessant, manchmal auch lustig, wie die deutsche „Gringa“ aussah. Ich hatte nie das Gefühl, mich allem anpassen zu müssen, um respektiert zu sein;  das hätte ich auch gar nicht geschafft, weil auch in Bolivien  – wie vermutlich in jedem Land dieser Erde – die Menschen einfach unterschiedlich sind und „die aus der Stadt“ anders ticken als „die vom Land“.

Bei meinem Abschied von Bolivien habe ich Rotz und Wasser geheult und den Satz, den ein Freund damals zu mir sagte, trage ich heute noch mit mir mit: „Du weinst, weil du gehen musst. Jetzt bist du eine von uns!“

Wann immer ich in den Jahren nach meiner Rückkehr nach Deutschland wieder nach Bolivien kam, habe ich mich zu Hause gefühlt, sobald ich aus dem Flugzeug ausstieg.

Wenn ich das so schreibe, denke ich, es wäre Zeit, mal wieder „nach Hause“ zu fliegen …